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Burnout Newsticker KW 31

Im Burnout Newsticker KW 31: Burnout-Schlagzeilen der letzten Woche “Burnout: Raus aus der Opferrolle”, “Steinzeitleben soll Burnout verhindern”, “Burnout-Experten gründen Netzwerk”, “Wenn die Seele müde ist – Diagnose Burnout”, “Wie gute Sprache den Burnout verhindert”

  1. Burnout: Raus aus der Opferrolle

  2. Steinzeitleben soll Burnout verhindern

  3. Burnout-Experten gründen Netzwerk

  4. Wenn die Seele müde ist – Diagnose Burnout

  5. Wie gute Sprache den Burnout verhindert

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  1. Burnout: Raus aus der Opferrolle (spiegel.de)
    Wer sich im Job gehetzt und überfordert fühlt, wünscht sich vor allem eines: Runter von der hohen Drehzahl. Ein Coach kann dabei helfen. Er sieht, was Betroffene selbst nicht sehen. Doch ohne Mithilfe geht es nicht.

    Stress gehört zum Leben. Aber in einer beschleunigten, vernetzten Welt verkraften viele Menschen die wachsende Belastung nicht mehr, fühlen sich vor allem im Job gehetzt. Ab wann macht Stress krank? Und wie kommt es zum Burnout?

    Das neue SPIEGEL-Buch “Diagnose Burnout” zeigt, wie man der Überforderung vorbeugen kann. SPIEGEL-Autoren stellen neue Erkenntnisse von Wissenschaftlern, Ärzten und Therapeuten vor. Hier schildert Angela Gatterburg, wie Coaches helfen können. Manche Menschen bringen ihr Leben so regelmäßig auf den Prüfstand wie ihr Auto zur Inspektion – und suchen sich dafür einen Coach. Den meisten ist dabei klar, dass die kritische Betrachtung des eigenen Daseins komplizierter ist als die technische Untersuchung eines Wagens – aber auch reizvoller.

    Aus einer Frage können viele andere entstehen, aus diffusem Unbehagen heraus formen sich neue Ziele und Wünsche und vielleicht die Erkenntnis: Ich werde etwas ändern. So jedenfalls sieht das Jutta Rossellit, die in Hamburg als Coach arbeitet. Mit einem kundigen Reflexionspartner nachdenken über sich selbst, in einem handfesten beruflichen oder auch in einem philosophisch- existentiellen Sinn, das sei das Ausgangsbedürfnis bei ihren Klienten, erzählt die studierte Geisteswissenschaftlerin. Manche haben das Gefühl, festzustecken, wie etwa der Manager eines internationalen Konzerns, den sie derzeit betreut.

    Der Vater zweier Kinder klagt über Schlafprobleme und Rückenschmerzen, grübelt viel über seine berufliche Situation nach, über Fehler und Fallen im eigenen Unternehmen, über Strukturumbau und Machtverteilung. In den bisherigen Gesprächen offenbarte sich eine tiefe Unzufriedenheit im Job, so Rossellit, aber vor allem etwas, das sich der Manager bislang nicht eingestehen mochte: Eines Tages erzählte er von der Einsamkeit in seiner Ehe und wie unglücklich er darüber sei. “So kann sich hinter einer vermeintlichen Berufskrise eine private Misere verbergen”, sagt die Fachfrau fürs Coaching.

    Coaching ist inzwischen ein schier unübersehbarer Markt geworden , genutzt von Beschäftigten wie Arbeitgebern, die in ihre Mitarbeiter investieren wollen. Sich gezielt coachen zu lassen ist in, genießt Ansehen. Für alles und jedes kann man mittlerweile einen Coach anheuern, ob es um Einrichtungsfragen, Fitness, Gewichtsabnahme, Kindererziehung, Partnerschaftsprobleme, Hundetraining, Zeitmanagement oder Kommunikationsstrategien geht.

  2. Steinzeitleben soll Burnout verhindern (welt.de)
    Für eine Studie spielen acht Projektteilnehmer in den Alpen die Steinzeit nach: Sie verzichten auf Handys, wanderten schon 120 Kilometer, zerlegen ihr Fleisch selbst. Resultat: Es geht ihnen besser.

    Müde, schlapp und ausgebrannt? Die Lösung: Leben wie in der Steinzeit! Das zumindest schlägt ein bayerisches Institut gestressten Berufstätigen vor. Für das Projekt “Metabolic Lifestyle” wurden acht Freiwillige in die Allgäuer Alpen nahe Hinterstein geschickt, um ihren Stoffwechsel umzustellen. Fernab von Zivilisation und Leistungsdruck sollte dort dem Burnout-Syndrom, einer chronischen Erschöpfungserkrankung, vorgebeugt werden.

    Und tatsächlich belegen die ersten Ergebnisse der Studie, dass die acht Teilnehmer nach einer Woche voller Entsagungen und körperlicher Anstrengungen wacher, fitter und leistungsfähiger waren. Projektleiter Sebastian Spörer versichert, mit Dschungelcamp habe die Bergtour nichts zu tun. Die Teilnehmer mussten auch nicht mit Fell und Keule durch die Wälder jagen.

    Um ihre Stressresistenz und Vitalität zu verbessern, wurde eine archaische Nahrungssuche simuliert, erklärt Spörer. Er leitet das Erste Deutsche Zentrum für Leistungsmanagement und Burnout-Prävention in Hopferau im Ostallgäu.

    Die “Steinzeit-Metabolen” – zwei Frauen und sechs Männer im Alter von 30 bis 52 Jahren – bewegten sich tagtäglich und zwar ohne Frühstück. Vom 2. bis 9. Juli legten sie insgesamt 120 Wanderkilometer zurück. Die Nahrung beschränkte sich auf Fleisch, Obst und Kräuter. Auf technische Hilfsmittel wurde verzichtet und geschlafen wurde nach dem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus.

    “In den ersten zwei bis drei Tagen haben wir schon ein wenig gelitten”, erinnert sich Spörer. Nicht nur das Wetter hätte kaum schlechter sein können, auch das Hungergefühl sei ein ständiger Begleiter gewesen. “Was das für die Moral bedeutet, muss man wohl nicht extra erläutern”, sagt Spörer.

    Teilnehmer Jürgen Pucher bestätigt: Er habe ganz schön mit sich ringen müssen. “Teilweise waren es schon Extremsituationen”, gesteht er. Die leeren Mägen hätten ununterbrochen gegrummelt. “Es gab den ganzen Tag nur Wiesenklee, vielleicht mal Erdbeeren am Wegesrand und abends Fleisch, das wir selbst zerlegen mussten”, schildert er.

    Doch dann stellten sich erste Erfolge ein. Die Gemüter in der Gruppe erhellten sich, vor allem weil das Hungergefühl ausblieb. “Super interessant war auch, dass meine Haut schon nach drei Tagen besser geworden ist”, berichtet der 30-jährige IT-Administrator. Er leidet unter Neurodermitis, die in Stresssituationen stets schlimmer wurde.

    Projektleiter Spörer erklärt, der Stoffwechsel der Studienteilnehmer habe auf Fettverbrennung umgestellt. Die Blutstressparameter und die Herzfrequenzvariabilität, die als Indikatoren für Zivilisationskrankheiten gelten, verbesserten sich.

    So habe sich der Blutdruck von drei Teilnehmern, die mit schlechten Werten angereist waren, über die Projektwoche normalisiert. Der Blutzuckerspiegel sei bei allen “eklatant” um durchschnittlich 16 Prozent gesunken, sagt Spörer. Darüber hinaus hätten sich die Cholesterinwerte der Probanden verbessert, wodurch das Herzinfarktrisiko gesenkt wurde.

    Regelmäßige Alpen-Workshops geplant

    IT-Administrator Pucher gesteht rückblickend, dass er vor dem Projekt ständig unter Strom stand, immer erreichbar sein musste. Die Studie habe ihn dafür sensibilisiert, mehr auf seinen Körper zu hören. Er achte nun darauf, sich Pausen zu gönnen und sich proteinreich zu ernähren. Kohlenhydrate machten nämlich schlapp. Daher verzichte er auf die früher so heiß geliebte Frühstückssemmel. Stattdessen gönne er sich jetzt erst mittags einen Salat mit Fisch oder Fleisch.

    “Ich habe im Job gemerkt, dass mir geistige Tätigkeiten leichter fallen, und ich schlafe auch besser”, resümiert Pucher. Auch wenn noch nicht alle Daten ausgewertet sind, sagt Spörer: “Die Ergebnisse haben uns bestärkt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.” Eine an die Menschen vor 10.000 Jahren angelehnte Lebensweise reduziere Druck und damit das Burnout-Risiko.

    Ab nächstem Jahr werden regelmäßig Alpen-Workshops für abgespannte Berufstätige angeboten. “Wir sorgen dafür, dass Menschen motiviert im Beruf bleiben”, verspricht Spörer. Gesundheit und Stressprävention gibt es aber nicht umsonst. Rund 2.000 Euro kostet die metabolischen Bergtouristen eine Reise in die Steinzeit.

  3. Burnout-Experten gründen Netzwerk (swp.de)
    In Ulm hat sich ein “Kompetenznetz Burnout” gegründet. Ziel des Vereins: Betroffenen und Firmen bei der Behandlung von Stress-Symptomen zu helfen.

    Kaum eine seelische Beeinträchtigung erzeugt derzeit so viel Aufmerksamkeit wie das Burnout-Syndrom (Ausgebranntsein). Darunter versteht man körperliche, geistige oder emotionale Erschöpfung, ausgelöst durch Stress vor allem im Beruf. Eine medizinisch klassifizierte Krankheit ist Burnout (noch) nicht, die Krankheitsbilder sind diffus. Gleichwohl leiden immer mehr Menschen darunter. Laut Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) von 2010 haben sich Krankschreibungen wegen psychischer Belastungen seit 1990 nahezu verdoppelt.

    Auch wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung des Themas hat sich in Ulm der Verein “Kompetenznetz Burnout für die Region Ulm/Neu-Ulm” gegründet. Er versteht sich als unabhängiger Zusammenschluss von Experten unterschiedlicher Berufsgruppen, sagt Karin Probst, Initiatorin des Vereins. Das sind etwa Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, Coaches, Heilpraktiker, aber auch Institutionen wie Krankenkassen, Beratungsstellen oder die Telefonseelsorge – derzeit 29 an der Zahl.

    Ein Ziel des Kompetenznetzwerks sei es, mehr Transparenz im regionalen Angebot der Burnout-Vorbeugung und -Behandlung zu schaffen, sagt Probst – um so Patienten und Unternehmen zu helfen, schnell die passende Behandlung zu finden. “Es hat sich gezeigt, dass Betroffene oft nicht wissen, an wen sie sich wenden können und wie sie lange Wartezeiten auf Therapieplätze sinnvoll nutzen können.”

    So arbeitet der Verein momentan daran, einen einfachen und gut strukturierten Leitfaden für Betroffene, Angehörige und Unternehmen zu entwickeln, eine Art Expertenverzeichnis. Diese frei zugängliche und kostenlose Online-Navigation soll im November freigeschaltet werden, mit dann hoffentlich deutlich mehr Experten/Anbietern als den derzeit 29, wie Probst sagt.

    Um teilzunehmen, müssen potenzielle Anbieter sich zunächst kostenlos unter der Rubrik “Burnout” im Gesundheitsinformationsdienst (www.internet-gid.de) registrieren lassen, Ansprechpartner für die dortigen Einträge in der Region Ulm ist das Selbsthilfebüro Korn.

  4. Wenn die Seele müde ist – Diagnose Burnout (derwesten.de)
    Es wächst einem alles über den Kopf. Antrieb und Motivation sind weg, man hat keine Kraft mehr. Immer mehr Menschen fühlen sich ausgebrannt, immer häufiger stellt der Arzt die Diagnose „Burn-out“. Auch in Rees. Das merkt Heike Fuest deutlich. Die Heilpraktikerin für Psychotherapie hat in ihrer Reeser Praxis immer mehr Patienten mit Symptomen, die auf Burn-out hinweisen. Um für das Krankheitsbild zu sensibilisieren, wird sie deshalb mit ihrer Praxiskollegin Ulrike Winkler beim nächsten Wohlfühlabend in der Reeser Bücherecke das Thema „Burn-out – wenn das Feuer erlischt“ behandeln. Essstörungen und Angstzustände

    Auslöser für Burn-out ist oft ein dauerhaft erhöhter Stresspegel. Von zehn Patienten hätten mittlerweile im Schnitt acht eine erhöhte Stressbelastung, sagt Fuest. Tendenz steigend. Äußern kann sich dies auf ganz unterschiedliche Art: Die einen essen zu viel, andere zu wenig, viele können nicht schlafen, haben Angstzustände.

    Grund sei die immer schnelllebigere Gesellschaft. Zudem steigen die Anforderungen in der Arbeitswelt stetig: Man ist immer erreichbar, die Verantwortung wächst, hinzu kommt die Angst vor dem Jobverlust. Wenn dann das eigene Wertesystem auf Perfektionismus ausgelegt ist, ist irgendwann der Akku einfach leer.

    Die Krankschreibungen wegen Burn-outs haben deutschlandweit schlagartig zugenommen. Das wissenschaftliche Institut der Krankenkasse AOK hat ermittelt, dass die Zahl zwischen 2004 und 2010 um das Neunfache angestiegen ist.

    Besonders Frauen und Menschen in erzieherischen und therapeutischen Berufen erhalten laut AOK-Untersuchung oft die Diagnose Burn-out. Dabei treffe es aber keineswegs nur die arbeitende Bevölkerung, sagt Heike Fuest: Auch Menschen im Vorruhestand kann es treffen, oft auch Hausfrauen. Immer sind es Menschen, die sich über Leistung definieren. Ohne Fleiß kein Preis! Nur Faule, sagt Heike Fuest und kann sich ein kleines Lachen nicht verkneifen, die treffe es eher selten.

    Doch was kann man tun? Ist der Burn-out da, helfe nur eine Therapie, sagt die Heilpraktikerin. Ansetzen müsse man daher schon im Vorfeld. „Die innere Balance muss wieder hergestellt werden.“ Die geeigneten Mittel sind ganz unterschiedlich, variieren von Patient zu Patient. „Sport zum Beispiel hilft vielen“, sagt Heike Fuest. Weil die Erschöpfung nach dem Sport eine angenehme ist. Gesunde Ernährung ist ebenfalls förderlich. In Gesprächen sollte man lernen, sein eigenes Verhalten zu reflektieren, um in Stresssituation besser einen kühlen Kopf bewahren zu können. Ansätze wie diese werden Heike Fuest und Ulrike Winkler in ihrem Vortrag vorstellen. Anschließend wird es Möglichkeiten geben, mit den beiden Expertinnen persönlich zu sprechen.

  5. Wie gute Sprache den Burnout verhindert (main-netz.de)
    Was tun, wenn es immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit zu erledigen gibt? Wenn Vorgesetzte, Patienten und Angehörige nach einem verlangen und man nicht allen gleichzeitig gerecht werden kann? Wenn die Dokumentation einzelner Arbeitsschritte so viel Aufmerksamkeit verlangt, dass kaum mehr Zeit für jene bleibt, um die es eigentlich geht: Die Patienten? Die Situation für Pflegekräfte ist nicht leicht.

    Sie können aber lernen, besser damit umzugehen , ist sich Sandra Wiesner-Mantz sicher.
    Die Kommunikationstrainerin aus Obernburg hat eine Weiterbildung für Gesprächskultur im Gesundheitswesen konzipiert, die den Beschäftigten den Umgang mit Kollegen und Patienten erleichtern soll. Ab dem 6. August bildet sie in Berlin mit einem sechsköpfigen Team 300 Mitarbeiter des Vivantes-Konzerns zu Sprachbegleitern und Sprachmentoren aus (siehe »Hintergrund«).
    Die 44-Jährige kennt sich aus im Pflegealltag, schließlich hat sie selbst Jahre lang im Kreisaltenheim in Amorbach gewirkt, von der Auszubildenden bis zur Stationsleiterin. Sabine Dreher wollte von ihr wissen, wie sich die Sprache auf das Pflegen auswirkt.

    Sie unterrichten die Pflegekräfte unter anderem in »wertschätzender Sprachkultur«. Was heißt das?
    Es geht um die Umgangsformen mit Patienten, Angehörigen und Kollegen. Das beginnt schon damit, mit einem Gesprächspartner Blickkontakt aufzunehmen und ihm die Hand zu geben. Außerdem möchte ich meinen Schülern Mut machen, schön zu sprechen und Menschen gute Impulse zu geben.

    Mit welchen Worten lässt sich hier arbeiten?
    Es gibt Begriffe, die früher gebräuchlich waren und heute fast vergessen sind. Mit ihnen kann man ältere oder demenzkranke Menschen aktivieren – etwa einen »gesegneten Appetit« wünschen, ein »köstliches Brötchen« anbieten, von der »charmanten Zimmernachbarin« sprechen. Wer genügend Worte der Wertschätzung hat, besitzt auch selbst Wertschätzung.

    Eine gute Sprache, so Ihr Ansatz, kann sogar Burn-out vorbeugen.
    Genau. Druck ist nämlich nicht nur um einen Menschen herum, sondern er verstärkt ihn selbst durch Gedanken und den häufigen Gebrauch von stressauslösenden Worten wie »müssen«, »schnell«, oder »schnell noch«. Pflegende steigern dadurch ihr Zeitempfinden in unerträgliche Höhen, erzeugen noch mehr Stress und Druck. Zum Beispiel, wenn im Team Sätze fallen wie »Ich muss schnell noch den Patienten waschen«, »Gestern waren wir früher fertig«, »Ich komme sofort.«

    Und was führt dann zum Burn-out?
    Diese Sprache erzeugt ein Stimmungsbild des handlungsorientierten Fertigwerdens, der hilfebedürftige Mensch kommt in diesen Sätzen kaum vor. Ein Burn-out entsteht aber in der Regel nicht durch zu viel Arbeit, sondern durch zu wenig Wertschätzung, Anerkennung und Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Dazu gehört auch eine menschliche und Orientierung gebende Kommunikation mit den Kollegen und den Patienten. Wer sich im Inneren sammelt und bewusst reagiert, läuft deutlich weniger Gefahr, sich im Außen zu verlieren. Das funktioniert auch über die Sprache.

    Was gilt es beim Gespräch mit Patienten zu beachten?
    Viele Pflegekräfte reden mit Patienten in der Wir-Form: »Wir müssen jetzt zum Röntgen«. Das schafft auf beiden Seiten zu viel Nähe. Oder wenn ein Patient zur Pflegekraft sagt: »Sie müssen mir noch die Medikamente bringen.« Das erzeugt Stress, da gilt es, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

    Bleiben wir bei diesem Beispiel. Wie wirkt der Satz eines Patienten »Sie müssen mir noch die Medikamente bringen« auf eine Pflegekraft?
    Unser Gehirn macht keinen Unterschied, ob wir denken, etwas tun zu müssen, oder ob wir es tatsächlich tun. Eine natürliche, unbewusste Reaktion wäre zunächst innerlicher Trotz, zu denken »Ich muss gar nichts«. Schließlich wird der Angesprochene unter Druck gesetzt, sein Körper reagiert unbewusst auf diese Reizwörter, setzt Adrenalin frei, die Muskeln verspannen sich, wir werden kurzatmig. Es entsteht ein schlechtes zwischenmenschliches Klima, und es verbreitet sich. Dabei sind die Patienten doch auf das angewiesen, was ihnen die Pflegenden bieten.

    Aber ein Patient braucht doch seine Medikamente. Eine Pflegekraft kommt nicht umhin, sich darauf einzulassen.
    Auf die Aufgabe schon, nicht aber auf diese Sprechmuster. Es gilt zu erkennen, was einen stärken und schützen kann. Besser ist es, mit Hilfe der Sprache den Druck von sich selbst zu nehmen dem Patienten Orientierung zu geben. Etwa mit einer Antwort wie: »Ja, Sie warten auf Ihre Medikamente. Ich versorge noch diesen Patienten und erledige noch jene Aufgabe, dann bringe ich sie Ihnen vorbei.« Wer gut und stimmig auf eine schwierige Situation reagieren kann, spart viel Energie.

    Das ändert jedoch nichts daran, dass die Pflegekräfte wenig Zeit für ihre Patienten haben.
    Stimmt. Die Bedingungen in der Pflege sind extrem schwierig, die Zeitkorridore sind knapp. Wenn aber durch den sprachlichen Ausdruck eine Wertschätzung des Patienten stattfindet, gewinnt diese Zeit an Qualität und es entstehen mehr schöne menschliche Kontakte. Für hilfebedürftige und kranke Menschen zählt eben jedes Wort. Denn das Reden ist bereits Pflegen und die Sprache ist wie Medizin.

    Und wenn einem einmal alles über den Kopf wächst?
    Zu einer guten Gesprächsführung gehören nicht nur Empathie und Wertschätzung, sondern auch die Fähigkeit, authentisch zu sein. Es gilt die Situationen zu erkennen, in denen man emotional überfordert ist und auf einen Patienten oder Angehörigen nicht eingehen kann. Professionell ist, die Aufgabe an einen Kollegen abzugeben.

    Die Umsetzung des Sprachkonzepts im Alltag dürfte nicht einfach sein.
    Durch die Gesprächsvielfalt sind die Anforderungen an medizinisches und pflegerisches Fachpersonal in der täglichen Kommunikation extrem hoch. Natürlich kann man nicht einen ganzen Tag »schön reden«. Aber man sollte auch nicht einen ganzen Tag schlecht machen. Wenn es den Pflegekräften gelingt, einige Male am Tag eine Situation positiv zu gestalten, ist schon viel gewonnen.